Home Ausstellungen Art brut – ein besonderer Dialog mit der Sammlung Würth – bis 21.5. 2023

Art brut – ein besonderer Dialog mit der Sammlung Würth – bis 21.5. 2023

by Brigitte Matt-Brassel

Mit der Ausstellung “Art brut. Ein besonderer Dialog mit der Sammlung Würth” treffen im Musée Würth kraftvolle, originelle und pluralistische Welten aufeinander.

“Art brut” – Dubuffet’s Einordnung dieser Kunstwerke

1945 definiert Jean Dubuffet den Begriff “Art brut” (“rohe bzw. unverbildete Kunst”). Damit kann er die ersten Kunstwerke qualifizieren und katalogisieren.

Solche Werke sind auch schon vor ihm, z.B. unter der Schirmherrschaft von aufgeklärten Ärzten, durch die Qualtiät der Kunstwerke von Patienten psychiatrischer Einrichtungen erkannt und betont worden.

Das Interesse an außereuropäischer Kunst seit den Weltausstellungen sowie an Kinderzeichnungen war auch in den Kreisen der Intellektuellen und der künstlerischen Avantgarde sehr groß.

Bild: Johann Fischer, Today’s young people, 1992
Graphite et crayons de couleur sur papier
43,8 x 62 cm, Collection Antoine Frérot
Photo: Raphaële Kriegel

Ob sichtbar gemachte Gedankenpaläste oder sublimierte Ängste, die Kunstwerke in dieser neuen Ausstellung – die zwanzigste seit der Eröffnung des Museums im Jahr 2008 – loten die Tiefen des Intimen aus und sind ein zentrales Thema in der zeitgenössischen Kunst.

Ohne Anspruch auf die vollständige Wiedergabe eines künstlerischen Abenteuers, das sich seit dem Beginn im Jahr 1945 kontinuierlich weiterentwickelt hat, regt das Museum einen intensiven Dialog zwischen etwa 40 Art-brut-Vertretern aus Privatsammlungen an – den bedeutendsten auf diesem Gebiet, darunter Bruno Descharme, Antoine de Galbert, Antoine Frérot und Alain Graffe – und etwa 12 berühmten Künstlern aus der Sammlung Würth.
Dieser Dialog zeigt auf vielfältige Weise, was Art brut in ästhetischer und historischer Hinsicht umfassen kann.

Bild: Jean Dubuffet: La Dame blanche – Collection Würth Archiv Würth 

„Diese Ausstellung ist ein Einblick in die Art brut.
Wir öffnen Türen, um das Interesse auf mehr zu wecken.“ 
Jean-Pierre Ritsch-Fisch, Co-Kurator und Galerist

Rundgang im Museum

Die Ausstellung im Musée Würth beginnt mit zahlreichen anonymen Zeichnungen, die größtenteils aus privaten Nachlässen von Ärzten stammen, und mit Dokumenten aus dem frühen 20. Jahrhundert, die sich mit dem Thema Wahnsinn befassen.
Besonders angesprochen wird der Körper, eine schmerzliche und komplexe Thematik, die moderne Künstler wie Georg Baselitz beeinflusst. Sein Gemälde „Ira“ wird von den anatomischen Verzerrungen inspiriert, die in der Art brut und bei einigen internierten Künstlerinnen und Künstlern häufig anzutreffen sind.
Tinte, Bleistift, Farbstift und Aquarell sind die bevorzugten Materialien.

credit Studio 18 Elodie Winter Schwitzer

Der zweite Teil der Ausstellung ist Dubuffet gewidmet:
er holte die Art brut aus den psychiatrischen Kliniken heraus, machte seine Funde öffentlich zugänglich. Er öffnet den Blick auf die kommenden Generationen.

credit Studio 18 Elodie Winter Schwitzer

Zu sehen sind zahlreiche Gemälde: die farbenfrohen Figuren von Aloïse Corbaz, eine Serie von Benjamin Bonjour, mehrere Seiten aus der Saga von Henry Darger, Kopien von Medaillons von Émile Josome Hodinos, Silhouetten von Carlo Zinelli sowie Werke von Sylvain Fusco, Eugène Gabritschevsky und Giovanni Battista Podesta.
Auch größere 
Skulpturen werden gezeigt, so die Barbus Müller von Antoine Rabany, ein Eiffelturm von Émile Ratier, ein Textilkokon von Judith Scott, ein Bus von Willem Van Genk und Kreationen aus ausgefallenen Materialien, so die Komposition aus Obst- und Gemüseschalen von Philippe Dereux oder auch doppelseitige Kreationen aus dem umfangreichen, von Adolf Wölfli gezeichneten Romanwerk.

Michel Nedjar, Sans titre, 1987 Crayon gras et gouache sur papier, 50 x 84 cm Collection privée Photo : Alex Flores
Paul Goesch, Frauenkopf, 1925 Aquarelle gouache et crayon sur papier peint 42,8 x 30,3 cm Collection privée Photo : Alex Flores
Henry Darger, Jenny and Her Sisters are Nearly Run Down by Train…, sans date Aquarelle et crayon sur papier, 45,7 x 61 cm Collection Graffe © 2022 Kiyoko Lerner / Adagp, Paris Photo : Frédéric Dehaen
Johann Hauser, L’oiseau éléphant, sans date Mine de plomb sur papier, 67 x 59 cm Collection Graffe © Privatstiftung-Künstler aus Gugging Photo : Frédéric Dehaen

Noch bevor es ins Obergeschoss geht, werden Autodidakten vorgestellt, die außerhalb Dubuffets Einflussbereich stehen, deren Produktionen jedoch Ähnlichkeiten zu den Werken aufweisen:
Wiederverwerten und Zusammenfügen von Gegenständen, Verwendung von natürlichen oder industriellen Materialien, keine künstlerische Ausbildung. Heute, im 21. Jahrhundert, wählen die Künstlerinnen und Künstler ihre Materialien mit einer noch größeren Freiheit. 
Zu ihnen gehören u.a. Paul Amar (1919-2017) mit seinen dreidimensionalen Muschelskulpturen in leuchtenden Farben – er verwendet Acryl oder Nagellack, Egidio Cuniberti (1928-2006) mit Intarsien aus gesammelten und wiederverwerteten Materialien, A. R. Penck (1939-2017) mit seinen von Höhlenmalerei und Graffiti geprägten Gemälden.

Der Rundgang setzt sich mit einem großen Kapitel über medial unterstützte Produktionen fort.

Hier finden wir einige bekannte Namen, die sich dem Spiritismus oder den okkulten Wissenschaften zuwandten oder die sich von einer inneren Stimme oder einem Trancezustand inspirieren ließen.
Sie alle erhalten eines Tages Weisungen einer übernatürlichen Kraft, die über ihren Willen hinausgeht und die ihre Hand lenkt: der produktive Augustin Lesage, die mystische Gill Madge, der Eisenwarenhändler und Heiler Fleury Joseph Crépin, der experimentier-freudige Grafiker Fernand Desmoulin, die Seidenweberin Marie Bouttier. …

 

„Ich mache alle meine Bilder, ohne sie zu entwerfen. – Ich zeichne nicht vor, ich nutze keine anderen Werkzeuge als meine Pinsel und Becher. Eine unsichtbare Kraft zwingt mich, eher diese Farbe als eine andere zu nehmen.

Ich male nur mit Öl, und nur die Einflüsse, die meinen Arm leiten, wirken auf mein Werk, sonst nichts.”

 

Augustin Lesage, 1927

www.musee-wurth.fr

Unter der Leitung von Marie-France Bertrand in Zusammenarbeit mit den beiden Co-Kuratoren Claire Hirner und Jean-Pierre Ritsch-Fisch, Galerist und Art-brut-Experte, wird der Dialog und Austausch zwischen den 40 Art-brut-Vertretern aus Privatsammlungen und den etwa 12 KünstlerInnen aus der Sammlung Würth zu einer ganz besonderen Ausstellung. 

Dies geschah auch vor dem Hintergrund des langjährigen, kontinuierlichen Engagements von Carmen und Reinhold Würth für Offenheit und Toleranz gegenüber der Andersartigkeit und ein besseres soziales Miteinander. 
Carmen Würth besitzt eine eigene Art-brut-Sammlung mit Werken aus psychiatrischen Einrichtungen und Behindertenzentren in der Schweiz und in Deutschland.

 

Reinhard und Carmen Würth (c)Anish Kapoor DACS ADAGP Paris 2022

Eintritt frei, täglich und für alle

Öffnungszeiten:
Di bis Sa, 10 – 17 Uhr
So, 10 – 18 Uhr

Gruppen und Führungen
Auskunft und Reservierung

+ 33 (0)3 88 64 74 84
mwfe.info@wurth.fr

Audioguides: Französisch, Deutsch

Anfahrt:
Auto: D 1083, Ausfahrt Erstein, dem Schild Z.I. Ouest folgen > Parkplatz
Elektrische Ladestation
Zug: TER-Zuglinie Straßburg/Basel,
Bahnhof Erstein-Gare, dann 8 Minuten
zu Fuß

Barrierefreier Zugang
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